DAS MARIONETTENTHEATER
IN CASA BORROMEO
Die früheste Erwähnung eines in den Gärten der Isola Bella gebauten Freilichttheaters stammt aus dem Jahr 1657. Sie bezieht sich auf einen Ort, der für richtige Theateraufführungen vorgesehen war, die später in einen 1665 von Vitaliano VI. Borromeo in Auftrag gegebenen und 1686 vom Architekten Filippo Cagnola dauerhaft renovierten, besonderen Raum namens Teatro delle Commedie (Kommödientheater) verlegt wurden.
Das Teatro dell’Isola galt lange Zeit als eines der bedeutendsten Privattheater der lombardischen Aristokratie. Dies war auch den dort aufgeführten Werken zu verdanken, wobei die meisten von Carlo Maria Maggi (1630-1699), Professor für lateinische und griechische Literatur an der Universität Pavia und satirischer Autor von Lustspielen im Mailänder Dialekt, geschrieben oder angeregt wurden. Die Theatertätigkeit auf der Insel scheint mit dem Tod ihres Erbauers (Vitaliano VI., 1690) zum Erliegen gekommen zu sein und wurde Ende des 18. Jahrhunderts in Form des Marionettentheaters wieder aufgenommen.
Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und in den ersten fünfzig Jahren des darauffolgenden Jahrhunderts sporadisch auftretenden Dokumente über den Kauf von Marionetten und Kulissen häufen sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts als sich der Erfolg dieser Theatervorführungen sowohl in den Palästen als auch in privaten und öffentlichen Theatern einstellte.
Wir wohnen also der Entwicklung von sich verwandelnden Marionetten, der Einbeziehung von fantastischen und grotesken Tieren, dem massiven Einsatz von Bühnenmaschinerie, der Darstellung von atmosphärischen Ereignissen wie Nordlicht, Gewitter, Blitz und Donner, Feuer und überraschenden Flammeneffekten bei. Die Aufführungen des Marionettentheaters dienten in erster Linie der Unterhaltung und Belustigung der Familienmitglieder, der Gäste und Freunde des Hauses sowie der Bediensteten.
Die große Chance für die Marionetten kam jedoch 1828, als Vitaliano Borromeo anlässlich des Besuchs der sardischen Königsfamilie, König Carlo Felice mit Königin, im September desselben Jahres beschloss, aus der Sala della Racchetta ein echtes, ausschließlich den Schauspielern aus Holz gewidmetes Theater zu machen.



Alessandro Sanquirico (1779-1846), Bühnenbildner am Teatro alla Scala in Mailand, war mit den Bauarbeiten betraut, zeichnete auch für die Friese, das Frontispiz und den Vorhang des Theaters verantwortlich und malte obendrein in späteren Jahren viele der schönen, bis heute erhaltenen Bühnenbilder. Die Schaffung von Bühnenbildern und Marionetten sowie die Arbeiten zur Verbesserung des Theaters, das über 300 Sitzplätze und 20 Logen verfügte, wurden bis zu den letzten Tagen seiner Tätigkeit fortgesetzt. Während seiner arbeitsamen Karriere am Teatro Regio und Teatro Carignano in Turin und am Teatro della Scala in Mailand kam seine romantische und naturalistische Ader zum Ausdruck.

Nachdem es jahrelang illustre Gäste wie den Grafen Benso di Cavour belustigt hatte, stellte das Theater 1857 seinen Betrieb ein, wie Giberto Borromeo 1922 in einer Vorgeschichte zum Theater schrieb:
„Die ersten Wirren des Unabhängigkeitskrieges setzten ein und das Theater wurde seinem Schicksal überlassen.
1935 wurden die Räumlichkeiten des Theaters renoviert, um Platz für eine Wache zu schaffen, die Mussolini und seine ausländischen Gäste während der Internationalen Konferenz von Stresa im Palazzo auf der Isola Bella schützen sollte.


Heute ist ein Großteil des Materials aus dem das Theater in drei Sälen des Hauptgeschosses des Palazzos auf der Isola Madre zu finden.
In Bezug auf die Vielfalt, die Vollständigkeit und den Erhaltungszustand der Bühnenapparate, Marionetten und Drehbücher ist dieses Ensemble eines der bedeutendsten der heute noch erhaltenen.
Im ersten Saal befindet sich die Theaterszene, wobei sich die Bühne aus dem Vorhang und einer Reihe von perspektivischen Kulissen zusammensetzt, deren Funktion nicht nur darin bestand, die mechanischen Geräte vor dem Publikum zu verbergen, sondern auch einen illusionistisch tiefen Raum zu schaffen, in dem sich die Marionetten bewegten und die Bühnenhandlung stattfand.
Hintergründe und Kulissen bestehen aus mit Temperafarben bemalten, in Holzrahmen eingefassten Leinwänden, die von Antonio Sanquirico, einem berühmten Bühnenbildner der Mailänder Scala, der spätestens ab 1832 für die Famiglie Borromeo arbeitete, entworfen und realisiert wurden.

Im ersten Saal ist die Bühne mit der „Macchina delle nuvole“ (Wolkenmaschine) zu sehen. Diese besteht aus einer Reihe von in Rahmen eingespannten und durch ein System von unterschiedlich langen Latten miteinander verbundenen, bemalten Leinwandelementen. Sie werden von um eine einzige Achse gewickelten Drähten getragen und über eine Winde bewegt.
Im nächsten Saal sind einige der schönsten Marionetten der Sammlung in schlichten, von Alessandro Sanquirico entworfenen Vitrinen ausgestellt, darunter der äußerst seltene „Nano a trasformazione“ (Verwandlungszwerg), dem dank einer Reihe von Drähten mehrere kleine Marionetten entspringen, und eine Pulcinella, aus der weitere kleine Pulchinellas hervorgehen.
In der Vitrine an der linken Wand sind einige bei den Aufführungen verwendeten, mechanischen Geräte zu sehen: eine griechische Pechlampe, Pfeifen zur Nebelerzeugung, verschiedene Arten von Lampen zur Bühnenbeleuchtung und zur Erzeugung von Effekten, die für Überraschung und Erstaunen sorgen sollten, wie Feuer, Blitz und Donner; zudem ist eine feuerspuckende Marionette mit Metallkopf ausgestellt.


Die Tischvitrinen enthalten das kostbare Buch Libro delle Commedie e dei balli mit dem Repertoire des Marionettentheaters auf der Isola Bella (ein handschriftliches Dokument aus dem Jahr 1840, in dem die verwendeten Skripte festgehalten sind), sowie einige der Texte der Aufführungen. Erwähnenswert sind Arlecchino paga i debiti alla moda (Farce in zwei Akten, die 1832 auf der Isola Bella aufgeführt wurde), La disperazione di Arlecchino (Komödie in zwei Akten, die „1846 aufgeführt wurde und wenig Beifall bekam“), I riti indiani ossia Arlecchino fatto idolo birmano (Komödie in drei Akten), Arlecchino astrologo.


Im dritten Saal der Marionetten ist eine weitere Bühne mit teuflischem und höllischem Charakter, monströsen Bühnenhintergründen, fliegenden Drachen, Skeletten, Teufeln, Gespenstern und einer Bühnenmaschine zur Imitation von Flammen zu sehen.
Letztere besteht aus einem mit Flammen bemalten Stoffstreifen, der sich zwischen zwei Holztrommeln und einer Reihe von spiralförmigen, mit farbiger Zinnfolie überzogenen Pappmaché-Zylindern („Burloni“) dreht. Sie reflektieren das von einer eigenen Quelle erzeugte Licht und erzeugen so feuerähnliche Effekte.

Das „Höllenmonster“ bewegt sich auf einem vierrädrigen Holzkarren. „Das Bild ist auf Karton und konturgeformtes Holz gemalt. Die Flügel, der Unterkiefer und der Schwanz des Monsters sind beweglich und werden durch das Gleiten des Schlittens zeitgleich bewegt. Das Maulinnere, das wie die Perspektive einer Höhle gestaltet ist, hat als Hintergrund eine rot bemalte Wand mit zwei Löchern in der Mitte, aus denen Rauchstrahlen austreten. Auf dem Wagenboden sind zwei Lampen befestigt, deren Flammen den Augenschlitzen entsprechen. Der zentrale Teil der Augen ist aus Glas.“

Der außerordentliche Reichtum und der vorbildliche Erhaltungszustand der Materialien, aus denen das Theater besteht, zeigen die zentrale Rolle, die es im Leben der Familie zumindest bis zur Zeit der Unabhängigkeitskriege gegen Österreich spielte, und heute ist es so gut erhalten, dass wir uns dieses Wunder vorstellen können.
